Die heutige fünfte Runde in Toronto bot Spannung pur, Kampfschach vom Feinsten und die bisher zeitlich längste Runde überhaupt: die Partien begannen um 20:30 MESZ, und es wurde bis 2:34 Uhr nachts (oberbayerischer Normal-Sommerzeit) gespielt!

Es war definitiv kein Spieltag für schwache Nerven. In der Partie Praggnanandhaa – Nepomniachtchi überspielte Pragg seinen Gegner, der als Spezialist der Russischen Verteidigung gilt, mit einer vorbereiteten Eröffnungsneuerung, einem sehr starken Bauernopfer, welches Nepo einiges Kopfzerbrechen bereitete, und ihn zur äußerst präzisen Verteidigung einer schlechteren Stellung zwang. Pragg verpaßte in der entscheidenden Stellung die stärkste Fortsetzung, und so konnte sich der Russe – etwas glücklich, aber nicht unverdient – in ein Remis retten.

Die Partie zwischen Vidit und Fabi endete nach einigem Hin und Her mit Chancen für beide Seiten kurz nach der Zeitkontrolle mit einem Remis durch Zugwiederholung – ein Ergebnis, mit dem wohl hauptsächlich Fabi zufrieden gewesen sein dürfte; hatte er doch den größten Teil Partie durch einen erheblichen Entwicklungsnachteil unter einigem Druck gestanden, und sich erst gegen Ende durch ein eigentlich zweifelhaftes Bauernopfer etwas befreien können.

Die beiden anderen Partien waren dagegen ein ziemliches Drama, jede auf ihre eigene Art und Weise.
In dem Spiel Firouzja gegen Nakamura war gegen Ende ein Endspiel auf dem Brett, in welchem Naka mit Schwarz eine Qualität weniger, aber dafür zwei Bauern hatte. Firouzja gelang es aber am Brett nicht, die studienartige Remis-Variante zu finden; stattdessen unterlief ihm ein grober Patzer, der es Schwarz erlaubte, seinen Freibauern entscheidend Richtung Umwandlung vorzurücken, da dieser durch eine drohende Springergabel mit Schachgebot indirekt gedeckt war. Firoujza blieb nach dieser Wendung nichts anderes übrig, als reichlich frustriert aufzugeben; ein etwas glücklicher, aber wohl trotzdem allein durch stundenlanges hochkonzentriertes, korrektes Spiel mit zahlreichen hochkomplexen Wendungen verdienter Sieg für Hikaru Nakamura, der damit wieder im Turnier ist.

Die letzte Partie, Gukesh – Abasov, hätte (hätte!) eigentlich Remis ausgehen sollen, ja eigentlich sogar müssen, aber: es war ein kompliziertes Damen-Endspiel mit einem Minus-Bauern für Abasov. Jeder Schachspieler weiß, wie schwierig solche Endspiele zu führen sind, wenn die Damen noch auf dem Brett sind, und es bei jedem Zug ca. zwanzig Kandidatenzüge sowie zahlreiche Schachgebote gibt, die zu berechnen und zu berücksichtigen sind. Abasov verpaßte den sehr schmalen Weg zum Unentschieden: er ließ sich auf eine Variante ein, die es sieben Züge später Gukesh ermöglichte, den Damentausch und damit die Abwicklung in ein gewonnenes Bauernendspiel zu erzwingen. Man konnte während der Live-Übertragung förmlich zusehen, wie Abasov, als ihm dies klar wurde, am Brett mental zusammenbrach – da leidet man dann auch als Zuschauer, wenn man solche Wendungen aus eigener schmerzlicher Erfahrung nachempfinden kann, ein gutes Stück weit mit.

Großes Schach also heute, große Spannung, und ganz großartige Unterhaltung! Dies lag nicht zuletzt an dem fantastischen Kommentatoren-Trio aus GM Daniel „Danya“ Naroditsky, GM David Howell und vor allem Schachlegende GM Judith Polgar, die sehr gut miteinander harmonierten, sich mit offensichtlich großer Freude an der gemeinsamen Analyse gegenseitig „die Bälle“ zuspielten und den Zuschauern mit viel Sprachwitz und schier unglaublicher Kompetenz und Sachkunde vor allem die nicht offensichtlichen Nebenvarianten und tiefen Feinheiten erläuterten, die in den Stellungen zu finden waren. Da freut man sich schon gleich auf die nächste Runde und nächste Übertragung, die morgen zur gleichen Zeit in Toronto startet. Von den 14 Runden, die auf dem Programm stehen, sind nun erst fünf Runden gespielt.

Nine still to go – Richtig gute Zeiten also für Freunde des gepflegten Spitzen-Schachs!